Die Gelenke wollen nicht mehr so wie früher, das Gedächtnis lässt nach. Wie sieht die Lebensrealität von deutschen Rentnerinnen und Rentnern aus? Unsere Reporterin hat die 69-jährige Maria Blank aus Bayern an einem typischen Sonntag begleitet.
von Lena Fiala
Es gibt Menschen, die sind jeden Tag unterwegs. Joggen gehen hier, Freunde treffen dort. Fitnessstudio, Wochenendtrip, Shoppingausflug. Dazwischen noch die E-Mails checken. Maria Blank gehört nicht dazu. Seit vor circa zehn Jahren ein Aneurysma in ihrem Gehirn geplatzt ist, woraufhin sie mehrere Wochen im künstlichen Koma lag, ist die 69-Jährige in Rente. Damals musste sie alles neu lernen: Sprechen, Essen, Laufen…und das im Erwachsenenalter.
Heute versucht sie, das Leben trotz mancher Handicaps zu genießen. Über 20 Millionen Menschen in Deutschland sind Rentnerinnen und Rentner, ein Viertel der deutschen Bevölkerung. Trotzdem wird das Thema Lebensqualität im Alter häufig weit weggeschoben. Was macht das Leben in der Rente lebenswert? Welche Begabungen und Einstellungen helfen dabei, trotz mancher Wehwehchen und Schicksalsschläge zufrieden zu sein?
Ein Sonntag im Juli 2021, Maria Blank sitzt vor dem Computer im Esszimmer ihrer Wohnung. Die Möbel sind aus Holz, an der Wand hängt ein Kupferstich, der den oberpfälzischen Ort „Bosbau“, wie Postbauer-Heng früher genannt wurde, mit Kirchturm und Apfelbaum abbildet. Blank spielt Mah-Jongg, ein chinesisches Spiel, bei dem man immer die Karten einander zuordnen muss, die dieselben Schriftzeichen tragen. „Des gfällt mir so…außerdem is es a Gedächtnistraining, ich muss ja was machen“, sagt Blank. Sie ist keine große Frau. Um ihre großen, runden Augen zeigen ein paar Falten an, dass sie im Oktober ihren 70. Geburtstag feiern wird. Und seit ihr vor einigen Jahren fast alle Haare ausgefallen sind, ahmt eine Perücke ihre frühere Frisur nach.
„Oh oh oh!“, ruft sie plötzlich aufgeregt. Eine Raupe krabbelt auf ihrem Ellenbogen. „Raupe nimmersatt“, scherzt sie, legt das kleine Tierchen in ihre Handfläche und bringt es über die Terrasse in den Garten. Dort schmücken Blumen unterschiedlichster Farben die Beete. Der Rasen ist ordentlich gemäht, das Gartenhäuschen aufgeräumt. Seit fast 50 Jahren lebt Maria Blank in Postbauer-Heng. Als die ältere ihrer beiden Töchter gerade 16 Jahre alt war, verstarb ihr geliebter Mann Albert an Lungenkrebs. Das sei eine schwere Zeit gewesen, aber inzwischen ist sie nicht mehr allein. Schon seit über 30 Jahren ist sie mit Günther R. zusammen, einem Busfahrer aus Nürnberg, der nach einem Schlaganfall ebenfalls frühzeitig in Rente gegangen ist.
Auf Blanks Krankenhausaufenthalt nach der Gehirnblutung folgte eine lange Reha. Günther besuchte sie fast täglich. Das Auto- und Fahrradfahren hat sie seitdem ganz aufgegeben. Vergessen ist dafür auch, dass sie früher Raucherin war. Eines hat sie jedoch nie verlernt: Das Kochen. Zehn Uhr. In der Küche schmort der Sonntagsbraten bereits im Ofen. Die Soße steht auf dem Herd. Zum Mittagessen gibt es Schweinehals und „Bündla“: „Des is a bissla durchwachsen, mir mögn des gern. Uns schmeckts hald!“
Blank kennt einige Tipps und Tricks, wie man das typisch bayerische Mittagessen am besten zubereitet. Sie schüttet heißes Wasser zum Kloßteig hinzu, damit die Knödel, die sie anschließend rollt, sich besser formen lassen. Unter die Soße rührt sie mit Wasser verdünntes Kartoffelmehl, sodass sie sämig wird. Das Kochen ist für sie kein Mittel zum Zweck, sondern Beschäftigung und Leidenschaft zugleich.
An der Wand hängt ein Herz aus Holz. „Kurz und bündig, ehrlich klar, Mama, du bist wunderbar!“, steht darauf geschrieben. Ein Geschenk von der Tochter, die gleich nebenan, im früheren Grundstück von Frau Blank, mit ihrer Familie ein Haus gebaut hat. Der Apfel fällt nicht weit vom Stamm. Und Blank freut sich umso mehr, dass sie regelmäßig Besuch von den Kindern und der Enkelin bekommt.
Das Essen strukturiert den Tag von Maria und Günther: Aufstehen um sieben. Fertigmachen, Tabletten nehmen. Frühstück: eineinhalb Semmeln und zwei Tassen Kaffee, jeden Tag. Dann misst Blank ihren Blutdruck: „Der war heute mal wieder gut.“, freut sie sich. Jammern käme ihr sowieso nicht in den Sinn. Parallel zum Kochen spült sie die benutzen Utensilien ab. Alles hat seine Ordnung. Um Punkt zwölf gibt es Mittagessen.
„Soll ich dir irgendwas helfen, Hasl?“, fragt Günther. Der 66-Jährige trägt Brille und zu Hause meist Jogginganzug. Er kümmert sich um das Haus und den Garten und fährt leidenschaftlich gerne Motorrad. „Nee, is alles ok, du kumst ja dann zum Zug, wenn ich zum Fernsehgarten geh.“, sagt Blank. Die beiden unterstützen sich gegenseitig. Wegen der Abzüge durch den früheren Renteneintritt könnte er sich die Miete kaum leisten, würden sie nicht alle Ausgaben teilen. Aber beim Fernseher hört die Gemeinschaft auf. Da hat jeder seinen eigenen. Nach dem Essen startet prompt der Fernsehgarten. „Ich bin dann mal weg.“ – und schon verschwindet Maria Blank im Wohnzimmer. Denn – „Des is mei Sendung!“
Neben den Mahlzeiten bestimmt auch das Fernsehprogramm den Tagesrhythmus: Zu den Schlagern von Hansi Hinterseer, Lorenz Büffel und Anna-Maria Zimmermann summt, wippt und singt Maria Blank fröhlich mit, bewegt ihre Füße auf dem Sofa im Takt, während sie ein großes Eis löffelt. Ein Highlight, an das sie sich gerne erinnert: sie war selbst schon einmal beim Fernsehgarten live in Mainz dabei. In der Pandemie hat sie kein Problem damit, zu Hause zu bleiben.
Foto: Lena Fiala