Laster stehen in Schlange

90 Stundenkilometer – bis zur Rente

Armando Barbosa schläft selten zwei Nächte am gleichen Ort. Er ist LKW-Fahrer. So lange, bis er genug für seine Rente gespart hat.

von Francesco Schneider-Eike

„7,50 € für eine Dusche, das ist Wucher“, beschwert sich Armando Barbosa, als er um kurz vor sieben Uhr morgens über den Parkplatz des Autobahnrasthofs Köckern an der A9 zurück zu seinem LKW schlurft. Die morgendliche Stille der nebelbedeckten Felder wird unregelmäßig von einem vorbeifahrenden Auto unterbrochen. Der klein gewachsene Mann mit Glatze trägt Sicherheitsschuhe, eine Arbeitshose aus Kunstfaser und ein rotes Baumwollshirt mit dem Namen des Transportunternehmens, für das er arbeitet: „Tondini“. In der Hand hält er einen Pappbecher mit Kaffee aus dem Vollautomaten. „Wenigstens war die Dusche sauber“, tröstet er sich, während er die Treppen zum Führerhäuschen seines gelben LKW hinaufsteigt, in dem er die Nacht verbracht hat.

Wegen des Verkehrs, erzählt er, habe er schlecht geschlafen. Warum er nicht weiter weg von der Straße, zwischen den anderen LKW geparkt habe? Dort sei es noch lauter, wegen der Kühlanlagen der anderen Laster. Die würden die ganze Nacht über laufen, erklärt er.

Kurz darauf fährt er mit seinem IVECO auf den Beschleunigungsstreifen der Autobahn auf. Vollgas, aber der 220 PS-starke Dieselmotor birgt bei 10 Tonnen Gewicht kein Beschleunigungswunder. 40 km/h, Armando steckt sich die erste Kippe des Tages an. 60 km/h, er nippt von seinem Kaffeebecher. 80, Blinker links. 90, der Lastenzug wechselt die Spur. Armando sinkt in seinen Fahrersitz, lässt das Fenster hinunter und stößt Rauch aus. 90 Stundenkilometer, diese Geschwindigkeit bleibt es für eine ganze Weile.

Das Schweizer Unternehmen, für das Armando Barbosa arbeitet, kümmert sich darum, kaputte Fahrzeuge wieder zu ihren Besitzer:innen zu bringen, wenn Urlauber auf dem Weg in die Ferien liegen bleiben. So wie die zwei Berliner, deren Autos Armando heute beladen hat: Einen alten Volvo V60 mit Kupplungsschaden, und einen Ford Transit Camper mit Elektronikschaden. Später am Tag soll er noch ein Auto in Chemnitz abholen, danach eins in Pegnitz.

Circa 600 Kilometer soll er am Ende des Tages zurückgelegt haben. Und morgen wieder. Und übermorgen. Am Samstag komme er zurück in seine Wohnung in Chur in der Schweiz, erzählt er, für zwei Nächte. Montag werde er wieder aufbrechen und die Woche in der Fahrerkabine seines Lasters verbringen. 12 000 Kilometer, schätzt er, legt er in einem Monat zurück. Das entspricht grob der Strecke von München nach Neu-Delhi und wieder zurück.

Kaum eine halbe Stunde unterwegs klingelt Armandos Telefon, das Bild einer sympathischen blonden Frau mit Sonnenbrille erscheint auf dem Display, Name der Anruferin: „Amor“ – „Liebling“. Sie unterhalten sich auf Portugiesisch, vertraut, das Gespräch hört sich nach Routine an. Sie habe gerade die Kinder zur Schule gebracht, erzählt er, sobald er aufgelegt hat. Francisco und Gustavo, ihre Namen hat Armando sich auf die Unterarme tätowieren lassen. Sie leben in Porto, Armandos Heimatstadt. Das letzte Mal habe er Sie an Weihnachten gesehen. „In zwei Wochen habe ich aber wieder Urlaub, dann bin ich für zwei Wochen zu Hause“.

Seit sieben Jahren lebt Armando jetzt in der Schweiz und schickt seiner Familie Geld. Früher habe er in Portugal als Busfahrer gearbeitet, aber nur 1200 € pro Monat verdient. Für ihn, seine Frau und seine Kinder habe das nicht genügt. In der Schweiz verdiene er 4000 Franken, umgerechnet 3725 €. Noch drei Jahre will er das machen, dann will er zurück nach Hause. „Am Meer sitzen, Kaffee trinken, rauchen. Es gibt keinen schöneren Ort als Porto“.

Um 8:40 Uhr biegt der LKW ab auf die Ausfahrt Berlin-Steglitz/Zehlendorf. Das Navigationsgerät führt Armando in eine Wohngegend, irgendwo dort ist die Adresse, bei der der Ford Transit abgegeben werden soll. Armando flucht, es gibt keinen Platz, um zu manövrieren.

Der LKW muss die Straße blockieren, um den Ford abzuladen. Steglitzer Vorstadtbewohner:innen versuchen, ihre teuren Autos an dem parkenden LKW vorbeizudrücken, Fahrer:innen schimpfen auf Deutsch, Armando schimpft auf Portugiesisch. Es dauert, zum Schluss muss Armando den Ford in eine Parklücke schieben.

Die hydraulische Handbremse zischt, und der LKW setzt sich wieder in Bewegung. Nach einer zweiten Station in Treptow manövriert Armando den LKW wieder zurück auf die Autobahn und verlässt aus Berlin. „Wenn ich deutsch könnte, würde ich wieder als Busfahrer arbeiten. Dann könnte ich die Städte auch sehen, die ich besuche.“

In 2,5 Stunden, sagt das Navi, werde Armando in Chemnitz sein. Und heute Nacht? „Vermutlich an einer Raststation irgendwo nahe der Schweizer Grenze.“ Er kenne da einen Rasthof. Dort gebe es saubere Duschen. Aber teuer.

Foto: Wolfgang Hasselmann/unsplash.com


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