Köln gilt als korrupteste Stadt Deutschlands. Werner Rügemer als der größte Kritiker der städtischen Wirtschaftspolitik – weil ihn das Arbeitsamt dazu machte.
von Cem-Odos Güler
Von Weitem sieht die Kugelschreiberzeichnung an der Wand wie eine große Baumwurzel aus. Werner Rügemer zeigt auf die Verästelungen, sie sind mit Zahlen beschriftet und laufen in einem Punkt zusammen: „Klärwerk Köln-Stammheim“, steht da. Die Zeichnung zeigt etwas Unterirdisches, doch es geht nicht um Wurzeln, sondern um das Kölner Abwassersystem. Rügemer hat tief gebuddelt, um dessen Strukturen freizulegen. So tief, dass er entlassen wurde.
Werner Rügemer ist ein Mann von 75 Jahren, der aussieht wie 60. Das dichte kurze Haar hat er nach hinten gekämmt. Mit dem marineblauen Jacket und der Jeans, könnte Rügemer auch bei einem Startup-Pitch sein. Doch er steht im Arbeitszimmer seiner Kölner Wohnung und um ihn herum sauber sortierte Aktenordner.
Rügemer redet ruhig, seine Arme hängen schlaff neben den Lehnen seines Drehstuhls herab. Doch es kommt immer wieder vor, dass er näher heran rollt und sich weit nach vorne lehnt. Manchmal überschlägt dann seine Stimme und er redet über das Thema, mit dem er sich in Köln einen Namen gemacht hat: Über Public Private Partnerships, kurz PPP.
Der exponierteste Korruptionskritiker Kölns
In PPP-Projekten bauen private Unternehmen kommunale Gebäude und vermieten sie an Städte zurück. Für die Kommunen ist das oft kein gutes Geschäft, sie machen langfristig Verluste mit den undurchsichtigen Verträgen. So war es auch bei dem Bauauftrag für die Kölner Messe. 2004 schloss die Stadt einen Vertrag mit einem Immobilienfonds ab, anstatt den Auftrag auszuschreiben. Der Deal: Der Fonds sollte die Kosten für den Bau der Messe tragen. Im Gegenzug hätte die Stadt über 35 Jahre einen zweistelligen Millionenbetrag an den Investor zahlen müssen. 2010 erklärte der Europäische Gerichtshof den Vertrag für nichtig, weil das Bauprojekt nicht europaweit ausgeschrieben wurde. Heute sehen viele Beobachter den Kölner Messeskandal als Paradebeispiel für kölschen Klüngel.
Rügemer ist der exponierteste Korruptionskritiker Kölns. Er sagt, das sei Zufall. Aber das ist nur die halbe Wahrheit. Rügemer ist ein Nerd, er wühlt sich in Themen ein – so sehr dass Menschen, die ihn kennen manchmal als verbissen wahrnehmen.
Rügemer bezeichnet sich selbst als „interventionistischen Philosophen“. Einer der ins Abstrakte driftet, wenn man ihm eine Frage stellt, aber nicht davor zurückschreckt trotzdem in der Öffentlichkeit zu stehen. 1990 wird der promovierte Germanist arbeitslos und das Amt vermittelt ihm als Arbeitsbeschaffungsmaßname eine Stelle in einem privaten Institut für Abwasserreinigung. „Die haben dort jemanden mit Doktor-Titel gesucht, der dann mit dem Ministerium in Düsseldorf kommuniziert“, sagt er. Rügemer hat neben Germanistik auch noch Romanistik und Philosophie studiert; aber von Abwassersystemen hatte er keine Ahnung.
Die Auftraggeber wollen die Studie wieder stoppen
Das Umweltministerium in Düsseldorf hatte eine Fallstudie bei seinem Institut in Auftrag gegeben, in der gezeigt werden sollte, wie die Abwasserwirtschaft in Köln funktioniert. Rügemer las sich ein, recherchierte in Autowerkstätten und kleinen Betrieben, um herauszufinden, was sie in die Kanalisationen leiten.
Rügemer gibt sich Mühe, er will wirklich etwas herausfinden – aber sein Auftraggeber überlegt es sich offenbar anders. Die Kölner Industrie- und Handelskammer habe begonnen, Druck auf das Ministerium in Düsseldorf auszuüben, erzählt Rügemer. Die Argumentation: Die Studie schädige den Wirtschaftsstandort Köln. Und prompt gaben sie im Ministerium nach. Die Untersuchungen wurden gestoppt – und Rügemer entlassen. Rügemer wollte sich das nicht gefallen lassen, klagte, wurde wieder eingestellt, wieder entlassen, klagte erneut. Irgendwann hieß es: Er könne den Job behalten, solle aber einfach zu Hause bleiben. Rügemer lacht und rollt mit seinem Bürostuhl zu dem Bücherregal im rechten Eck seines Arbeitszimmers.
Von tief unten zieht er ein kleines grünes Buch hervor, seine gebündelten Recherchen, auch ein Zeugnis seines Trotzes. Als er nicht mehr zur Arbeit kommen sollte, entschied sich Rügemer, ein Buch zu schreiben. „Staatsgeheimnis Abwasser“, erschienen 1995, machte den Germanisten zum Kanalisations-Experten. Plötzlich wollten die Leute hören, was er zu erzählen hat. Vor allem nach Sachsen luden ihn zahlreiche Bürgerinitiativen ein. Nach dem Ende der DDR sollten dort viele Abwasserbetriebe privatisiert werden. Die Kritiker der Privatisierungen beriefen sich auf Rügemers Recherchen.
Neben dem Buch ist von damals noch die Skizze an seiner Wand geblieben. Inzwischen befasst sich Rügemer häufiger mit globaleren Themen: Nach der Finanzkrise analysierte er die Eigentümerstrukturen von Ratingagenturen und schrieb ein Buch, das gute Kritiken erhielt. Nach wie vor recherchiert Rügemer zu Wirtschafts- und Unternehmenskriminalität nur auf einer höheren Ebene.
Aber das Thema von früher, die Kanalisationssache, lässt ihn bis heute nicht los. Viele Menschen würden ihn heute fragen, ob er nicht ähnliche Recherchen in ihren Städten machen könne. Und was sagt er dann? Es sei wichtig, Politik von der niedrigsten und tiefsten Ebene aus zu analysieren, sagt Rügemer. In Köln war das für ihn die Kanalisation. Doch inzwischen muss er oben weitermachen.