Zurück in die Armut

Das Land der unbegrenzten Möglichkeiten: Deutschland gilt unter vielen Migranten als Paradies. Aber was, wenn der Schein trügt?

von Aurora Lushtaku

„Auch wenn ich nochmal die Möglichkeit hätte, Asyl in Deutschland zu beantragen – ich würde es nie wieder tun“, sagt Fatmir Krasniqi. Der 22-jährige Kosovo-Albaner erinnert sich, wie er Ende 2014 illegal nach Deutschland kam. In der Hoffnung, ein besseres Leben zu führen. Nun, ein gutes Jahr später, sitzt Krasniqi auf dem Balkon und erinnert sich an früher. Er zieht hastig an seiner Zigarette, bläst den Rauch aus. Es war alles vergebens.

Krasniqi lebt mit seinem Vater, seiner Mutter und seinem jüngeren Bruder in Mitrovica im Kosovo. Die meisten Leute in seinem Umfeld sind arbeitslos und schlagen sich mit Minijobs durch. Wie auch er, sind sie ratlos über ihre Zukunft. So geht es großen Teilen der Bevölkerung im ärmsten Land auf dem Balkan.

Arbeitslos und ohne Perspektive

Es ist Ende 2014, als Krasniqi beschließt, dass er es in seinem Heimatland nicht mehr aushält. Er ist unzufrieden mit seinem Leben. Die Arbeit, die er macht, ist hart und schlecht bezahlt. Jeden Nachmittag sucht er sich einen Platz auf der Promenade der Innenstadt und baut einen kleinen Stand auf, um bis tief in die Nacht Snacks zu verkaufen. Nach der zehnten Klasse hat er die Schule abgebrochen und war wie über 35 Prozent der Jugendlichen arbeitslos und ohne Perspektive.

Mit dem Ersparten seines Vaters macht er sich mithilfe von Schleusern auf den Weg nach Deutschland. Früh am Morgen startet der Bus in Mitrovica mit zehn anderen jungen Männern, die sich, so wie Krasniqi, eine bessere Zukunft erhoffen. Von dort aus geht es nach Serbien und anschließend nach Szeged, einer Großstadt in Ungarn. Dort wird er aufgrund illegaler Einreise festgenommen und steht 24 Stunden lang unter Arrest. Als er entlassen wird, geben die Beamten ihm 72 Stunden, das Land zu verlassen.

„Es war mir egal, was für eine Arbeit es sein würde“

Krasniqi ist klar, wozu er diese Stunden nutzen will. Er verliert keine Zeit und fährt mit etwa 50 anderen Kosovo-Albanern nach Wien, von dort aus weiter nach Salzburg, wo er eine Woche bei seiner Tante verbringt. Gemeinsam mit seinem Cousin und einem guten Freund fährt er mit einem privat organisierten Pkw nach Dortmund. Dort beantragt er Asyl und wird in ein ehemaliges Krankenhaus im Kreis Siegen-Wittgenstein geschickt, das als Flüchtlingsheim dient. Die Reise dauert insgesamt zwei Wochen.

„Die Verpflegung im Flüchtlingsheim war sehr gut“, sagt er im Rückblick. „Wir bekamen drei Mal täglich etwas zu essen, konnten unsere Klamotten waschen und bekamen selbst die Bettwäsche gewechselt.“ Er habe sogar Freunde dort gefunden, darunter einige andere Kosovo-Albaner.

Trotz der guten Bedingungen im Heim entspricht das Land nicht seinen Erwartungen. Krasniqi sagt, er habe einen Job gesucht – als Asylbewerber aber durfte er nicht arbeiten. Und zwar sehr viel länger, als er sich zuvor vorgestellt hatte. „Es war mir egal, was für eine Arbeit es sein würde, am wichtigsten war mir, mich schnell zu integrieren“, sagt er. Immerhin: Krasniqi kann einen Deutschkurs im Flüchtlingsheim besuchen und lernt die Sprache langsam. Das allein reicht ihm aber nicht. Denn das Risiko, abgeschoben zu werden, ist groß. Kosovo gilt trotz der angespannten Lage als sogenanntes sicheres Herkunftsland – und er damit als Wirtschaftsflüchtling.

Schwindende Hoffnung

Krasniqi wird nachdenklich. Seinen Aufenthalt hat er sich ganz anders vorgestellt: Ein schnelles Asylverfahren, eine sichere Arbeit und die Möglichkeit, sich ein besseres Leben zu erarbeiten. Doch es zieht sich alles in die Länge. Seine Lage ist unsicher. Krasniqi stellt sich die Frage: „Was für Erwartungen darf ich eigentlich an Deutschland stellen?“

Die große Hoffnung, mit der er zu Beginn hergekommen war, schwindet langsam. Die Lage in Deutschland ist mit seiner Vorstellung nicht kompatibel. Beruflich schnell aufzusteigen und einen Platz in der Gesellschaft zu finden, funktioniert nicht so einfach. Diese Gedanken quälen ihn mehrere Wochen.

Einen Tag vor Weihnachten entschließt er sich, Deutschland zu verlassen. Krasniqis freiwillige Ausreise ist eine von 13.574, die im Jahr 2014 laut dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) mit dem sogenannten REAG/GARP-Programm gefördert wurden.

Um eine Erfahrung reicher

Während seiner letzten Tage in Deutschland besucht er Verwandte in Mönchengladbach. Dort lässt sich Krasniqi von seinem Onkel durch die Stadt führen und verbringt Zeit mit seinen Cousins. Er habe die letzten Tage genossen und sich sogar auf seine Heimat gefreut, sagt Krasniqi. Zu Silvester ist er bereits wieder im Kosovo bei seiner Familie. Insgesamt hat er zwei Monate in Deutschland verbracht.

Er sei nicht von Deutschland enttäuscht, sagt Krasniqi. Im Gegenteil: „Die Bedingungen, unter denen ich hier gelebt habe, waren mehr als gut, wenn man das mal mit anderen Heimen vergleicht.“ Wovon er eher enttäuscht sei, seien die Möglichkeiten, die das Land Zuwanderern bietet. Wie es für ihn weitergehen wird, weiß Krasniqi nicht recht. Er arbeitet mittlerweile als Fahrer und liefert Lebensmittel in Supermärkte. Auch, wenn er nicht zufrieden ist: Er ist froh, die Erfahrung gemacht zu haben, ein Land wie Deutschland zu sehen, sagt er. „Ich weiß nicht, was kommen wird. Ich würde gern heiraten. Einen besseren Beruf finden. Ob ich das hier schaffe, weiß ich nicht.“

Es wird kalt auf dem Balkon und Krasniqi zupft an seiner Jacke herum. Er drückt die Zigarette im Aschenbecher aus und geht rein. Auf dem Wohnzimmertisch liegen seine Schlüssel bereit. Es ist neun Uhr. Zeit, sich für die Arbeit fertig zu machen.

Foto: David Bailey (Flickr) Lizenz: CC BY-SA


Auroras Eltern kommen aus dem Kosovo, die Familie besucht ihr Heimatland jeden Sommer. Fatmir Krasniqi kennt Aurora persönlich, die beiden sehen sich jedes Jahr im Kosovo. Das Gespräch mit ihm führte Aurora auf albanisch.


 


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