Der falsche Flüchtling

Wie mich ein Mohammed bei Facebook addete, wir uns zum Kaffee trafen – und ich mich völlig blamierte

von Kaja Klapsa

Ein Abend im Februar. Ich sitze ich am Laptop und scrolle durch meine Facebook-Timeline, als plötzlich eine Freundschaftsanfrage aufploppt. Der Typ heißt Mohammed, auf seinem Profilfoto steht er vor einem Springbrunnen und grinst.

Schon wieder. Anfragen von Mohammeds, Ahmeds oder Alis kommen ständig, sie kennen mich zwar nicht und ich sie erst recht nicht, doch das spielt bei dieser Angelegenheit offenbar keine Rolle.

„Es ist nur so schwer, in Berlin Freunde zu finden, weißt du“

Mohammed aber ist eine Ausnahme: Er kommt mir bekannt vor. Irgendwoher kenne ich dieses Grinsen. Ich überlege. Und schließlich, na klar: die Turnhalle. Die Turnhalle an der FU, meiner Uni in Berlin. Dieser dreckige, überfüllte Ort, an dem bis vor kurzem noch Hunderte Flüchtlingen wohnten. Ich hatte da mal so ein Flüchtings-Projekt gemacht, das mit dem Kochen, was alle so nett fanden. Da hießen doch viele Mohammed.

Kurze Zeit später schreibt mein neuer Facebook-Freund mich an. Er fragt, wie es mir geht, sagt, dass es doch schön wäre, was zusammen zu machen. Ich verziehe mein Gesicht. Muss das immer sein? Wir kennen uns doch kaum. Er schreibt: Es ist nur so schwer, in Berlin Freunde zu finden, weißt du. Ich kenne hier ja niemanden.

Er trägt eine enge Jeans, hat sorgfältig zurück gegelte Haare

Und da ist es, augenblicklich und überdimensional groß: mein schlechtes Gewissen. Da hat der so eine lange Flucht hinter sich, von Damaskus bis nach Berlin, bestimmt die ganze Familie verloren, im Schlauchboot übers Mittelmeer, in Ungarn unter freiem Himmel geschlafen. Und hier in Deutschland will sich nicht mal das nette Mädchen mit ihm treffen, das doch vor paar Wochen noch mit ihm syrischen Gemüseauflauf gekocht hat.

Wir verabreden uns für nächsten Dienstag.

Drei Tage später sitzen wir in einem kleinen Café, Mohammed trägt eine enge Jeans, einen schwarzen Mantel und hat sorgfältig zurückgegelte Haare. Mir fallen die Bilder aus der Turnhalle ein, die Federbetten und das Chaos im Waschraum. Es muss gar nicht so einfach gewesen sein, sich da so zurecht zu machen. Ich schlage die Beine übereinander und hoffe, er denkt nicht, wir hätten ein Date.

Wir machen ein paar Minuten Smalltalk (wie erstaunlich es doch immer ist, im Winter auf Frühlingstemperaturen zu stoßen und wie toll es ist, dass wir so viele Seen in Berlin haben), dann wird es still zwischen uns beiden. Mohammed wirkt angespannt, er rückt sein Hemd zurecht. Ich überlege, was ich ihn fragen könnte, aber mir fällt nichts ein. Seine Fluchtgeschichte hat er mir bestimmt schon beim Kochen erzählt, ich weiß sie zwar nicht mehr genau, aber das heißt ja nichts. Und außerdem ist es ja auch nicht nett, wenn man immer nur nach dem Leid des Anderen fragt, das macht das Treffen auch nicht schöner.

„Hast du kein Spotify?“

Damit etwas passiert, hole ich mein Handy raus und suche Robin Schulz bei YouTube. Mohammed schaut verwundert auf mein Smartphone. Ich frage mich, ob er Robin Schulz kennt, ob den irgendjemand in Syrien kennt. Aber warum eigentlich nicht, in Damaskus wird es ja auch Radios geben. Ich drücke auf Play. „Hast du kein Spotify?“, fragt er mich.

„Ich find das super. Die Premium-Version kostet für Studenten auch nur die Hälfte.“ Ich grinse ihn an. Ein Kriegsflüchtling mit Spotify-Studenten-Abo. Cool.

Dann beschließe ich, ihn doch ganz vorsichtig zu fragen, ob er weiß, wie lange er noch in Deutschland bleiben kann. „Ich denke ich bleibe bis zum Sommer“, sagt er und lächelt. Mein Magen schnürt sich zusammen. In einem halben Jahr wird Mohammed abgeschoben? Ich dachte, dass ginge nicht bei Syrern. Wie kann er dabei nur so fröhlich sein? Ich sage nichts.

Mohammed redet einfach weiter, über Streamingdienste, dann Facebook und Taylor Swift. Sein Deutsch ist gut, und er weiß richtig viel.

Von seiner Flucht spricht er nicht, auch nicht vom Krieg oder der Turnhalle. Ich frage nicht nach.

Es war damals eine WG-Party, wo alle nur über Politik redeten

Irgendwann als die Dämmerung einbricht, muss ich nach Hause. Er sagt, dass wir gerne nochmal was zusammen machen könnten und lächelt wieder. Ein paar Sekunden lang entgegne ich nichts. „Warum wirst du abgeschoben?“, frage ich schließlich leise. Mohammed schaut mich irritiert an. „Was?“ – „Syrische Flüchtlinge haben doch sehr gute Chancen auf Asyl“, sage ich. Daraufhin entgegnet Mohammed mit ruhiger Stimme: „Ich bin Erasmus-Student, kein Flüchtling.“

In dem Moment macht es Klick. Er ist es nicht. Er ist nicht der Typ aus der Turnhalle. Er ist nicht mit dem Boot übers Mittelmeer hierher gekommen. Dunkel kommt die Erinnerung wieder. Es war damals eine WG-Party, eine der langweiligen, wo alle nur über Politik redeten, er saß da damals ganz verloren in der Ecke, als es um Gender ging. Wir unterhielten uns damals kurz, er studierte Ingenieurwesen bei mir an der Uni.

Ich bin so dumm. So unendlich bescheuert.

Mohammed hingegen scheint nicht besonders aus der Fassung zu sein. „Im Sommer endet mein Erasmus-Jahr, weißt du. Dann werde ich zurückgehen nach Saudi-Arabien.“

Ich bin völlig fertig, fange an mich bei Mohammed zu entschuldigen, ihm die Verwechslung zu erklären. Er scheint es locker zu nehmen. Zum Schluss sagt er grinsend: „Und weißt du, Berlin ist schon schön, aber warum sollte ich hierbleiben? In Saudi-Arabien zahle ich keine Steuern und verdiene das Fünffache vom deutschen Gehalt.“ Ich lache. „Klar“, sage ich. „Verstehe.“   Dann verabschieden wir uns.

 


Kaja Klapsa hat sich entschieden, diese Geschichte aufzuschreiben, um der Flüchtlingsproblematik etwas ihre Schwere zu nehmen. Sie sagt: „Wir alle kennen Vorurteile und manchmal ist es besser mit ihnen zu spielen, statt sie zu verschweigen.“


Foto: Jake Stimpson (Flickr) unter CC-BY


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