Leben nach Regeln wie vor 400 Jahren

Freiwillig in die Ehelosigkeit und Armut: Britta Müller-Schauenburg ist Ordensschwester geworden. Doch was bewegt die junge Frau dazu?

von Ronya Othmann

Am Rande der Nürnberger Altstadt, neben einer kleinen Kirche und einer Baustelle befindet sich das Noviziat der Congregatio Jesu. Die Versammlung Jesu, ein Frauenorden, 1609 von dem „Englischen Fräulein“ Mary Ward gegründet, um die zu dieser Zeit sehr dürftige Mädchenbildung zu verbessern.

In diesem schlichten Gebäude aus den sechziger Jahren lebt Britta Müller-Schauenburg. Die 44-jährige befindet sich im ersten Jahr ihres Noviziats. Das heißt, sie ist noch ganz am Anfang einer Art zweijährigen Ausbildung, die sie auf die zeitlichen Gelübde und damit den Eintritt in den Orden vorbereiten soll.

Wie kommt eine junge Frau dazu, Ordensschwester zu werden? Was bewegt sie dazu, in einer Zeit, in der die katholische Kirche immer mehr ihrer Mitglieder verliert und Bildung für Frauen in Mitteleuropa so zugänglich ist, wie nie zuvor?

Über den Ordenseintritt zu reden sei so intim, wie darüber sich zu verlieben und zu entscheiden ein Kind miteinander zu bekommen, schreibt mir Britta Müller-Schauenburg in einer Mail. Weil ich mehr erfahren will, besuche ich sie in Nürnberg.

„Ich finde die Baustelle vor dem Haus toll, weil das mein Inneres spiegelt“, sagt sie, als ich sie frage, warum sie Ordensschwester werden will. „Ich bin noch zu Noviziatsbeginn, mitten in der Baustelle. Es ist Teil des Noviziats, das herauszufinden.“

Das Postulat, also das Jahr, in dem Schwester und Gemeinschaft sich kennenlernen, habe sie noch „nebenberuflich“ gemacht, sagt Müller-Schauenburg. Für den nächsten Schritt, das Noviziat, hat sie ihre Arbeit als Wissenschaftlerin nun erstmal aufgegeben und ist nach Nürnberg gezogen.

Alltag in der Ordensgemeinschaft

Die Tage verbringt sie im engen Austausch mit ihrer Novizenmeisterin, im persönlichen Gespräch, bei der gemeinsame Lektüre (zurzeit Navid Kermanis „Ungläubiges Staunen“), und dem Unterricht, wo sie unter anderem Biographien über die Gründungsgestalten Mary Ward und Ignatius von Loyola liest, die Geschichte und die Regeln der Gemeinschaft kennenlernt, und im Gebet. Täglich morgens immer eine Stunde stilles Gebet mit Schriftbetrachtung, Bibeltext und „still mit dem Herrn im Gespräch sein“, wie sie sagt. Und wenn möglich täglich die Messe besuchen. Jeden Freitag liest sie mit den älteren Schwestern zusammen einen Bibeltext. Alle schweigen zwanzig Minuten. Und dann sagt jede, was sie versteht. „Das als Gemeinschaft machen zu können, das finde ich schön“, sagt sie.

Vor ihrem Noviziat hat Britta Müller-Schauenburg, eine Ausbildung als Altenpflegerin absolviert, Theologie studiert, promoviert und zu „Häresie und Recht in der Bibliothek Benedikt XIII“ geforscht.

War es schwierig die Wissenschaft loszulassen? „Eigentlich nicht“, sagt sie. „Ich habe immer erwartet, dass einmal eine Prüfung kommt. Im Sinne von: Gehorche ich dann, auch, wenn ich es nicht einsehe? Oder lasse ich auch los, wenn es mir schwer fällt?“, sagt sie. Diese Prüfung sei aber nie gekommen. Es sei immer so gewesen, dass sie es nachvollziehen konnte und es auch ihre Entscheidung war.

Oft herrsche in der Wissenschaft auch eine Art Markt-Logik, sagt Müller-Schauenburg. „Es gehört zum Spiel und wenn ich da mitspiele, gehört es bis zu einem Gewissen Grad halt dazu. Aber ich kann mir auch andere sinnvolle Tätigkeiten vorstellen in der Welt, mit der Zeit, die mir bleibt.“ Ihr Gefalle die Wissenschaft, aber einfach nur weiter machen, um weiter zu machen, das wolle sie nicht.

Zu ihrem Noviziat gehört auch, herauszufinden, was sie danach machen wird. Jahrhundertelang arbeiteten die Schwestern als Lehrerinnen. Heute gehen sie den verschiedensten Berufen nach. „Ich bin ganz offen. Es wird wohl eine Antwort auf die Frage sein: Was will ich? Was kann ich? Was braucht der Orden? Was braucht die Welt? Was sagt das Herz?“ Auch, in die Wissenschaft zurückzugehen, sei möglich.

Nur ein Teil der Schwestern trägt Ordenstracht. Britta Müller-Schauenburg hat sich zu Beginn ihres Noviziats dagegen entschieden. Sie trägt einen schlichten schwarzen Pullover, eine schwarze Hose und um den Hals ein silbernes Kreuz. „Das Kreuz ist mein Schwesternkleid“, sagt sie.

Einsiedlerin in der Wüste

Zur Kirche hat sie erst allmählich gefunden. Taufen lassen hat sie sich, da war sie schon erwachsen. „Ich hatte diese Neigung schon öfter gehabt, da war ich noch klein. Ich mochte beten. Bei anderen Leuten gibt es manchmal dieses Konversionserlebnis. Da kommt irgendetwas, manchmal etwas Schlimmes und dann fängt es mit der Religion an. Aber so war es bei mir nicht. Gestern habe ich an die Glocke in der Elisabethkirche in Marburg gedacht, das war die Stadt, in der ich in den Kindergarten und zur Schule gegangen bin. Auf der Glocke war ein Spruch zu lesen: „und ich bitt‘ Mensch vergiss das Beten nit“. Das hat mich immer berührt als Kind. Da könnte man jetzt sagen, da hat es anfangen. In der zweiten Klasse hat man uns in der Schule Heiligengeschichten erzählt. Ich wollte Einsiedlerin werden, in der Wüste. Das war mein erster Berufswunsch. Es gibt die Geschichte von Hieronymus, das ist ein Heiliger in der Wüste, der typischerweise oft mit einem Löwen abgebildet wird, den hat er gezähmt. Und ich dachte, so will ich das auch. Ich habe eine Höhle und einen Löwen und dort irgendwo ein Schreibpult stehen.“

Nach dem Mittagessen mit den anderen Schwestern, zeigt mir Britta Müller-Schauenburg das Haus. Die Bilder der Ordensgründerin an den Wänden. Ihr Zimmer mit den vielen Büchern, eines der wenigen Dinge, die sie bei ihrem Einzug mitgebracht hat. Den Gebetsraum, die Waschküche, das Zimmer für den Noviziatsunterricht. Still ist es nicht. Von der Baustelle lärmen die Bagger und Gebäudeabrissmaschinen. Im Erdgeschoss haben die Schwestern für die Dauer des Schulneubaus ein paar Räume der Schulkantine zur Verfügung gestellt. Auch wenn die Ordensgemeinschaft nicht mehr Träger der Maria-Ward-Schulen ist, die Verbindung ist noch da. Dass sich die Wissenschaftlerin genau diese Gemeinschaft aussuchte, in deren Geschichte Bildung eine große Rolle spielte, liegt nahe.

Bunte Tücher und Gitarrengeklimper

Gefunden hat Britta Müller-Schauenburg die Congregatio Jesu über die Webseite Orden Online, die eine Kloster-Datenbank führt. „Zuerst habe ich gedacht, es müsste ein anderer Typ von Gemeinschaft sein. Streng, schweigend, Chorgebetsmantel, latinisch singend. Eher dieser Typ von Kloster, wirklich ein Kloster. Für mich war damals wichtig gewesen, wie sehen die Kirchen aus, die Räume. Was ich gar nicht wollte, war Gitarrengeklimper, bunte Tücher in der Mitte, 70er, 80er Jahre, letztes Jahrtausend.“

Dass es jetzt in dem Gebetsraum im Noviziatsgebäude manchmal bunte Tücher gibt, stört sie nicht mehr. Sie lacht. „Da hatte ich mal ein echtes Bekehrungserlebnis.“ Sie war in Exerzitien. Ein paar Tage in Stille, im Gebet. Dort in der Teppichbodenkirche mit Meditationsraum kam ein Priester auf Socken herein. „Ich dachte: Was ist das den? Es muss doch hier alles streng zugehen. Und da ich in Gebetsstimmung war, habe ich gemerkt, dass es ein weitaus größeres Problem meiner Arroganz ist, zu beurteilen, ob das hier richtig läuft oder falsch. Was ich hier eigentlich soll, ist nicht gucken, ob die Liturgie formschön ist. Dass es in der Liturgie nicht darum geht, dass die Tücher schön sind, sondern was in meinem Herzen vielleicht nicht stimmt.“

Ehelosigkeit, Armut und Gehorsam

Als Schwester der Congregatio Jesu verspricht sie, den drei Gelübden zu folgen: Ehelosigkeit, Gehorsam, Armut. Ein Leben lang in dieser Gemeinschaft zu leben. In guten wie in schlechten Tagen. „Warum entscheidet man sich, jemanden zu heiraten?“, sagt sie. „Man entscheidet sich doch meist nicht für die Heirat an sich, sondern für einen bestimmten Menschen.“ Und bei ihr war das auch so. „Wenn das jetzt hier nichts wäre, würde ich mich nicht gleich nach der nächsten Gemeinschaft umgucken“, sagt sie. Was soll zum Beispiel Armut heißen? Was meinen wir jetzt damit? Wie gehen wir mit unserem Geld um? Was kaufen wir? Was nicht? Sie hatte noch nie so viele Zimmer, wie jetzt im Noviziat. Das sind Fragen, die sie beschäftigen. Und der Gehorsam? „Als ich mich für die katholische Taufe entschieden habe, gab es Leute, die gesagt haben. Dann interessiert mich die Frau nicht mehr, wenn die sowas macht. Das macht mich traurig, aber ich kann es nachvollziehen. Natürlich ist es ein Risiko. Man lässt sich auf etwas ein, aber ob die Freiheit jetzt wirklich geschwunden ist? Ich habe eher umgekehrt das Gefühl.“

Eine Sprache zu finden dafür, die nicht Schablone ist, wie sie sagt, ist fast unmöglich. „Christus nachfolgen ist so ein typisches Ding. Ich verbinde damit was, was es trifft, was ich meine. Es gibt ja keinen zwingenden Grund, ich kann mich gut alleine ernähren. Vielleicht sogar besser. Ich habe mich auch schon um meine private Rentenversicherung gekümmert und ich bin auch nicht unglücklich alleine, oder super frustriert, weil ich keinen Mann fände. Das sind alles nicht die Gründe, aber ich will trotzdem hier sein.“

Foto: Jon Shave via Flickr unter CC-BY 2.0


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