Zukunft

„Ich verstehe nicht, warum die Menschen so große Angst haben“

Im Interview spricht der Zukunftsforscher Dr. Reinhold Popp über seine Prognosen für Arm und Reich in Deutschland. Die Entwicklung der Technologie wird besonders in Zukunft eine entscheidende Rolle für den Lebensstandard spielen. Doch möglichst vielen Menschen müssen daran teilhaben können.

von Sandra Rügamer

Laut Studien der Sozialverbände gibt es in Deutschland so viel Vermögen und gleichzeitig so viele Arme wie niemals zuvor. Wie passt das zusammen?


Zunächst müssen wir zwischen zwei Begriffen unterscheiden: dem des Einkommens und dem des Vermögens. Die Unterschiede bei den deutschen Einkommen sind dabei der kleinere Problem, jedenfalls im Vergleich mit anderen Ländern. Deutschland bewegt sich hier im besseren Drittel der OECD Staaten. Das Vermögen ist jedoch sehr ungleich verteilt. Dazu gehören sowohl Geldvermögen als auch Sachvermögen wie Häuser oder Eigentumswohnungen.

Wie wird sich diese Kluft zwischen den Mittellosen und den Vermögenden in Zukunft entwickeln, wird sich das angleichen oder stärker auseinandergehen?

Bei den Mittellosen hängt die Entwicklung stark davon ab, wie der Sozialstaat und die Mindestlohnpolitik in Zukunft gestaltet werden. Das bestimmen die politischen Parteien und man kann die Wahlergebnisse kaum langfristig vorhersagen. Wobei ich nicht davon ausgehe, dass die Sozialtransfers wie beispielsweise HartzIV oder das Bafög sinken werden. Die Armen müssen einen Großteil ihres Einkommens für lebensnotwendige Dinge wie beispielsweise Nahrungsmittel ausgeben. Wenn man wenig hat, machen 20 Euro mehr im Monat viel aus und die werden notwendigerweise sehr rasch für Güter des tägliche Leben ausgegeben. Durch diese Ausgaben, die sehr schnell in den Konsum fließen, leisten die Armen einen spürbaren Beitrag zur wirtschaftlichen Wertschöpfung und beteiligen sich in Form der Konsumsteuern auch an der Vermehrung des Staatsbudgets. Die Löhne für abhängig Beschäftigte oder kleine Selbstständige sind so gestaltet, dass es sehr schwierig ist, Vermögen, beispielsweise für die Altersvorsorge, anzusparen. Und wo nichts ist, kann auch nichts vermehrt werden. Dieses zentrale Problem führt zur langfristigen Stabilisierung von Armut.

Aber durch Bildung kann man doch aufsteigen.


Diese Chance besteht in Deutschland leider nicht im wünschenswerten Ausmaß. Das deutsche Bildungssystem ist mit seinen Hauptschulen und Gymnasien viel zu wenig  durchlässig. Natürlich könnte auch ein Hauptschüler Millionär werden, aber das ist sehr unwahrscheinlich. Die Lage für die Vermögenden wird wegen des Erbens wahrscheinlich stabil bleiben. In den nächsten Jahren und Jahrzehnten wird so viel vererbt wie schon lange nicht mehr und die Vermögen wachsen und werden weitergegeben. Wer Vermögen hat, hat in aller Regel gute Methoden, dieses Vermögen etwa am Finanz- oder Immobilienmarkt zu vermehren.

Zur Person:
Prof. Dr. Reinhold Popp befasst sich mit zukunftsorientierter Forschung. Er lehrt und forscht am Institut Futur der Freien Universität Berlin. Seine Publikationen gelten als Standardwerke der deutschsprachigen Zukunftsforschung.

Wer werden die Verlierer sein?

Es gibt unter den reicheren Mitgliedern der EU kaum ein Land, in dem die Renten so niedrig sind wie in Deutschland. Und das wird in der Zukunft wahrscheinlich zu einer Verstärkung des Armutsproblems führen, vor allem bei älteren Frauen. In den nächsten 25 Jahren gehen viele Frauen in Rente, die zwar sehr viel gearbeitet haben, jedoch nur teilweise in bezahlten Arbeitsverhältnissen und deshalb mit geringerem Rentenanpruch. Sie waren viele Jahre mit Kindererziehung oder der Pflege Angehöriger beschäftigt. Die kümmernden Frauen sind die Verlierer des deutschen Rentensystems.

Soll die neue Mütterrente nicht eben das verhindern?


Das ist ein Tropfen auf den heißen Stein. In anderen europäischen Ländern wie Frankreich oder Österreich gibt es deutlich höhere Renten.

Sinkt langfristig das Rentenniveau auch für andere Gruppen weiter?

Ja, die demografische Entwicklung verschärft dieses Problem für alle – jedoch nur ungefähr bis zur Mitte unseres Jahrhunderts. Wenn es vorher weniger Junge gegeben hat, kann es nachher nur weniger Ältere geben. Aber diese Tatsache wird bei den langfristigen Rentendiskursen permanent verschwiegen.

Im Vergleich zum Wohlstand ihrer Eltern: Werden sich die Lebenschancen der heute Jungen verbessern oder verschlechtern?

Aufgrund der bereits seit vielen Jahren geringen Geburtenrate werden zukünftig wenige Junge am Arbeitsmarkt auftreten und dadurch eine sehr stark umworbene Zielgruppe sein. Ich kann nicht nachvollziehen, warum die Menschen hier so eine riesengroße Angst haben. Aber das hängt wahrscheinlich mit so weitverbreiteten Begrifflichkeiten wie „Generation Praktikum“ oder „Jugendarbeitslosigkeit“ zusammen, wobei das ja eher in Griechenland oder Spanien der Fall ist. Zudem werden die jungen Leute immer besser ausgebildet sein, ob mit Universitätsabschluss oder als Facharbeiter. Bereits die heutige junge Generation ist die am besten ausgebildete, die es jemals in Deutschland gab. Sehr große Probleme wird es jedoch zukünftig für junge Menschen ohne eine gute Ausbildung geben.

Popp
Foto: Christian Schneider

Können Sie sagen, welchen Einfluss die Technologieentwicklung auf die Spaltung von Deutschland in Arm und Reich haben wird?

Wie gut ein Land im Bereich der Technologien aufgestellt ist, spielt für die Entwicklung von Arm und Reich eine zentrale Rolle. Das zeigt der Vergleich zwischen Deutschland und Frankreich. Wenn der Anteil der technologieorientierten Produktion in einer Volkswirtschaft groß ist, wirkt sich das unglaublich stark auf die rund um die Industrie entstehenden Dienstleistungen aus. Das heißt von einem Euro der in der industriellen Wertschöpfung erzielt wird, wird ein Vielfaches in den von der Industrie abhängigen Wirtschaftszweigen wie beispielsweise im Marketing, Service und Verkauf erarbeitet. In Deutschland kommt ungefähr ein Viertel der gesamten Wertschöpfung aus der Industrie. In Frankreich viel weniger und unter anderem deshalb wirkt sich die Wirtschaftskrise dort viel stärker aus. Generell wirkt sich ein hoher Produktionsanteil positiv auf den Lebensstandard und damit die Lebensqualität aus.

Herr Popp, wie arbeitet die Zukunftsforschung, wo liegen die Möglichkeiten und Grenzen?

Die seriöse Zukunftsforschung analysiert den empirisch feststellbaren Status quo und schaut sich an wie dieser sich historisch entwickelt hat. Dann arbeitet man – meist in Form von interdisziplinärer Kooperation – an eine plausible Einschätzung, welche Entwicklungen abbrechen und welche sich verstärken, abschwächen oder linear fortsetzen könnten. Wenn es etwa um die Zukunft des Rentensystems geht, muss man über wirtschaftswissenschaftliches und soziologisches Wissen verfügen, bei technischen Fragen muss man natürlich technikwissenschaftliches Know How einbeziehen und mit entsprechenden Experten kooperieren. Wenn man mehrere zukünftige Entwicklungsmöglichkeiten darstellen will, arbeitet man mit so genannten Szenarien.

Wie viele der deutschsprachigen Zukunftswissenschaftler werden Sie von der Stiftung für Zukunftsfragen gefördert. Der Tabakriese British American Tobacco finanziert sie. Wie beeinflusst das ihre Forschung?

Die Stiftung für Zukunftsfragen ist ein autonomes Forschungsinstitut mit eigenen Forschungsprojekten und Mitarbeitern. Meines Wissens ist es nicht die Aufgabe dieser Stiftung, Wissenschaftler zu fördern. Deshalb ist es auch nicht richtig, dass ich von dieser Stiftung gefördert werde. Ich bin auch kein Mitarbeiter dieser Stiftung, vielmehr kooperiere ich bei einzelnen Projekten mit den sehr professionellen Kolleginnen und Kollegen, etwa bei Publikationen oder Kongressen. Grundsätzlich finde ich es sehr gut, wenn die Wirtschaft die Wissenschaft unterstützt, sofern die inhaltliche Arbeit nicht beeinflusst wird. In vielen Jahren der Kooperation mit der Stiftung für Zukunftsfragen habe von einem derartigen Einfluss nichts bemerkt. Das kann ich mir kaum vorstellen.
Die Förderung von Wissenschaft oder Kultur ist Teil der üblichen Unternehmenskommunikation aller großer Konzerne, nicht nur bei Tabakkonzernen. Dies fördert das Image eines Unternehmens.