Die Privelegierten

Vermögen sind in Deutschland immer noch sehr ungleich verteilt. Einen großen Teil des Vermögens machen Erbschaften aus. Eine Studentin und ein Millionär berichten.

von Pia Rauschenberger

In einer Zweizimmerwohnung in einem Hinterhaus in Berlin-Friedrichshain wohnt Mona Lauer. In der Küche steht buntes Geschirr auf einfachen Regalen, an der Wand hängen Postkarten. Lauer teilt sich die Wohnung mit einem Mitbewohner. Sie ist gemietet. Eine eigene Wohnung zu kaufen, kann sich die Psychologie-Studentin gerade nicht leisten. Erst wenn sie die teure Ausbildung zur Psychotherapeutin abgeschlossen hat, wird sie an solche Dinge denken können.

Privat ist privat

Mona Lauer ist Erbin. Von dem Erbe ist ihr allerdings nur ein kleiner Teil geblieben. Es wissen viele, dass sie geerbt hat. Wie viel es ist, weiß nicht mal ihr Freund. Sie will anonym bleiben, in dem Text trägt sie deshalb einen anderen Namen. „Ich will nicht, dass die Leute denken: Ah, die hat doch geerbt, die hat Geld, die könnte mir doch mal was geben.“

Angst vor Sozialneid? Darüber wird in Deutschland seit einigen Jahren verstärkt diskutiert. Seit Ende der 90er Jahre gibt es eine zunehmende Konzentration der Top-Einkommen und Vermögen. „Die Ungleichheit verstärkt sich über die Zeit. 50 Prozent der Bevölkerung haben kein nennenswertes Vermögen, die oberen zehn Prozent besitzen 60 Prozent des Vermögens“, sagt der Bremer Soziologe Steffen Mau. Für die Mittelschicht werde es immer schwieriger, die Ultrareichen einzuholen, meint Mau. In seinem Buch „Lebenschancen. Wohin driftet die Mittelschicht?“ beschreibt er die Angst vor dem sozialen Abstieg und das Bemühen um Status-Erhalt in der Mittelschicht.
Plötzlich ist da Sicherheit

Mona Lauers Familie gehört zu dieser Mittelschicht. Ihr Vater hat als Schlosser in der DDR gearbeitet. Nach der Wende stellte ihn die Stadt Leipzig an. 20.000 Euro hinterließ er Lauer, als er vor einige Jahren verstarb. Die Studentin weiß, wie lange ihr Vater für das Geld gearbeitet hat. Sie nutzte einen Teil des Erbes für eine lange Reise ins Ausland. „Aber einen faulen Lenz will ich mir damit nicht machen“, sagt sie. Das meiste Geld wird sie für die Bafög-Rückzahlungen nehmen. Dann bleibt nur noch ein kleiner Puffer. Wer weiß schon, was mal passiert?
Dieter Lehmkuhl sieht das ähnlich. „Die Finanzkrisen zeigen: Wir können nicht wissen, was auf uns zukommt.“ Auch Lehmkuhl ist Erbe. Das habe ihm ein Gefühl der materiellen Sicherheit ermöglicht.

„Luxus war nie meine Geschichte“

Dieter Lehmkuhl empfindet seine Privilegien nicht als selbstverständlich. Er kommt aus einer wohlhabenden Familie. Früh war klar: Not würde er wohl nie leiden müssen. Bereits in den 50er Jahren fuhren seinen Eltern regelmäßig in den Urlaub. „Das war damals die absolute Ausnahme“, sagt Lehmkuhl. Seine Familie reiste mit einem Volkswagen nach Österreich und in die Niederlande. Später machte Lehmkuhl, der inzwischen in Rente ist, lieber Fahrradtouren durch Estland. Lehmkuhl pflegt einen bescheidenen Lebensstil. „Luxus war nie meine Geschichte“, sagt er. Er fährt lieber Bus als Auto. Seine Villa im Norden von Berlin teilt er sich mit Freunden. High-End-Stereoanlagen oder teures Mobiliar sind dort nicht zu finden. Das Wohnzimmer behagt eher durch schwedische Gemütlichkeit. „Einmal war ich in einem dieser Fünf-Sterne Hotels. Das war so steril und langweilig.“

In Deutschland gilt es als unangenehm über das eigene Einkommen zu sprechen. Bei den Lehmkuhls sei das nicht anders gewesen, sagt Dieter Lehmkuhl. Trotz der Urlaubsreisen habe seine Familie nie im Luxus gelebt. Sein Großvater machte ein kleines Vermögen mit einer Brauerei in Dortmund.  Wie viel davon an den Vater übergegangen war und wie viel dieser verdiente, habe nicht einmal dessen Ehefrau gewusst, sagt Lehmkuhl.  Als er 30 war, trat er den ersten Teil seines Erbes an. Damals war Lehmkuhl noch in der Studentenbewegung aktiv. „Wohlhabend oder reich zu sein hat schon Probleme gemacht“, sagt Lehmkuhl. Er habe das in dieser Zeit noch verdrängt, das Geld herkömmlich angelegt, den Freunden nichts spendiert. „Ich hatte dann doch etwas ein schlechtes Gewissen, weil ich sozusagen unverdient durch Erbschaft zu Wohlstand gekommen war. Später sah ich dann die Möglichkeit das Vermögen als soziales Gestaltungsmittel einzusetzen und damit was Sinnvolles zu tun. Das hat mich versöhnt.“

Lehmkuhl ist heute Stifter bei der Bewegungsstiftung, die sich für soziale und ökologische Themen einsetzt. Sein Geld solle nicht einfach für ihn arbeiten, meint er. Und wenn, dann für einen guten Zweck. „Die Privilegierung bleibt jedoch eine große Ungerechtigkeit,“ sagt Lehmkuhl. Als er über 50 war, erbte er noch einmal.

Vermögen machen Vermögen

Damit gehört Lehmkuhl zu einer relativ typischen Erbengruppe. „In Zeiten um die 50 fällt vielen ohnehin Vermögenden und gut Gebildeten in der oberen Mittelschicht dann nochmal ein großes Erbe zu“, sagt Steffen Mau. Heute sei noch nicht sichtbar, was es bedeutet, dass das Geld von Generation zu Generation und meistens innerhalb der Familie weitergegeben wird.

Dennoch scheint das Thema schon jetzt viele Menschen zu bewegen. An einem Freitagabend in Berlin tummeln sich junge und alte Menschen vor dem Haus der Kulturen, im großen Saal ist schon Einlassstop: Der französische Ökonom Thomas Piketty ist gekommen, um über die Vermögensungleichheit im 20. und 21. Jahrhundert zu sprechen. Die Vermögen haben sich in den Industrienationen im 20. Jahrhundert auf wenige Familien konzentriert. Und Vermögen ließe sich im Kapitalismus am besten mit Vermögen machen, sagt Piketty. Wer schon Geld erbt, kann es anlegen und damit oft sehr viel mehr verdienen als mit einem gewöhnlichen Job.

Der Soziologe Mau bestätigt das: „Erben sind eigentlich uneinholbar.“ Vermögen würden im Vergleich zu normaler Arbeit finanziell bevorzugt. Das liege vor allem an der relativ geringen Kapitalertragssteuer und der fehlenden Vermögenssteuer. Seit den 90ern stagnieren die Einkommen, die Lebenshaltungskosten steigen. Menschen würden zudem mehr für Bildung und Pflege ausgeben, sagt Mau. „Die meisten Menschen können deshalb kein Vermögen ansparen. Die, die schon Vermögen hatten, haben  die Möglichkeit, das Vermögen arbeiten zu lassen.“
Hamburger erben, Leipziger arbeiten

Mona Lauers Lebensstil hat sich seit sie geerbt hat kaum verändert. Aber sie weiß: Wenn es hart auf hart kommt, könnte sie etwas von dem Erbe nehmen. „Ich hab mich unabhängig gefühlt durch das Erbe“, sagt sie – obwohl sie wie viele Ostdeutsche keine besonders große Summe geerbt hat. Zwischen Ost- und Westdeutschland gibt es immer noch sehr starke Unterschiede, was die Verteilung von Vermögen angeht, sagt Mau. „Um die Erbschaftssteuer mal als Anhaltspunkt zu nehmen: In Hamburg wird so viel Erbschaftssteuer gezahlt wie in ganz Ostdeutschland zusammen.“

Ihr Geld bewahrt Mona Lauer auf einem Sparkonto auf. Eine Vermögenssteuer wäre nicht ihr Fall:“ Das ärgert mich dann irgendwie. Mein Vater hat ja gearbeitet und das Geld dabei schon versteuert. Also wird von dem versteuerten Geld noch was versteuert.“ Mona Lauer ist froh, durch ihr Erbe auch mal reisen zu können. Sie möchte die dadurch gewonnene Freiheit und Selbstbestimmung nicht missen.

Dieter Lehmkuhls Erbe hat einen größeren Umfang. Aktuelle betrage sein Vermögen etwa 1.5 Millionen Euro, sagt er. Inzwischen kann er offen über solche Dinge sprechen. Als Gründer der Initiative „Vermögende für eine Vermögensabgabe“ musste er irgendwann seine Finanzen veröffentlichen, sonst wäre sein Anliegen nicht glaubhaft gewesen. Nach seiner Berentung sei er zu seinen sozialpolitischen Wurzeln zurückgekehrt, 2008 während der Bankenkrise war das: „Es kann nicht sein, dass die Armen jetzt unter der Krise leiden, obwohl die nie vom Boom profitiert haben.“ Natürlich mache der Staat auch Sachen, die nicht unterstützenswert seien. „Aber private Wohlfahrt kann doch keine Alternative sein.“ Den Teil des Geldes, den er selbst geerbt habe, werde er aber seinem Sohn weitervererben – mehr nicht, so die Abmachung. „Mein Sohn sagt, das sei auch eine menschliche Reaktion, dass man das Geld der Eltern haben wolle. Aber es schließt andere aus.“

„Wir können den Staat aus seiner Verantwortung nicht entlassen.“

Auch der Soziologe Mau hat die Erfahrung gemacht, dass es große Vorbehalte gibt, wenn der Staat Zugriff auf Ressourcen wie die persönlichen Vermögen haben soll. Eine Vermögenssteuer, die auch das Betriebsvermögen belasten müsste, sei keine gute Idee, sagt er. Mau denkt an etwas anderes. Er möchte eine Erhöhung der Erbschaftssteuer, um mit dem zusätzlich eingenommenen Geld einen Fonds zu gründen. Alle Menschen über 25 hätten dann einen Anspruch auf einen sogenannten Lebenschancen-Kredit.

„Wir können den Staat aus seiner Verantwortung nicht entlassen, wir müssen den Staat dazu zwingen, dass er wieder im Sinne des Gemeinwohls tätig wird“, sagt Lehmkuhl. Er ist sich seiner Sache sicher. Gesellschaften gehe es besser, wenn sie in der Verteilung der Güter und Chancen ausbalancierter und fairer seien. Dieter Lehmkuhl mag Bücher und Capuccino. Aber besonders eins gehört für ihn zu einem guten Leben dazu: „Ich würde mich persönlich wohler fühlen, wenn die Gesellschaft weniger ungleich wäre.“.


 

Pia Rauschenberger, 25 Jahre, studiert seit 2013 Psychologie in Berlin. Sie interessiert sich für Fragen an der Schnittstelle von Psychologie und Gesellschaft wie Z.B. den Umgang mit Menschen mit psychischen Erkrankungen oder wie psychosoziale Versorgung in der heutigen Gesellschaft organisiert werden kann. Geschrieben hat sie bislang für das Leipziger Stadtmagazin Kreuzer. Derzeit arbeitet sie für das Online-Radio detektor.fm.


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